Die Frage ist einfach, aber eine Antwort darauf will heute kaum mehr jemand geben: Was ist eine Frau? Ein Film, der sich der Frage widmet, wird von den Medien ignoriert.
Simon M. Ingold
4 min
Eine einfache Frage, 95 Minuten Laufzeit, 180 Millionen Views innerhalb einer Woche. Und kein Mainstream-Medium von Ruf weltweit wagt es, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Das ist das Fazit zum Dokumentarfilm «What is a Woman?» von Matt Walsh, einem umstrittenen konservativen Talkmaster und Autor aus Tennessee.
Der Inhalt des Films ist schnell erzählt: Walsh reist durch die USA, um herauszufinden, was eine Frau ist. Er interviewt Ärztinnen, Psychologinnen und Therapeutinnen. Er spricht mit Akademikern, Politikern und Transgender-Aktivisten. Er besucht den Women’s March, die grösste feministische Kundgebung der Welt. Aber niemand kann ihm eine Antwort auf seine scheinbar einfache Frage geben. Sie wird mit betretenem Schweigen, langen Gesichtern oder offener Empörung quittiert.
Einige versuchen es unter grösster Anstrengung mit verschwurbelten Definitionen von Weiblichkeit. Viele brechen das Interview ab. Am Ende wissen wir: Matt Walsh glaubt nicht an die Dualität von Geschlecht und Geschlechtsidentität. Die Rolle des objektiven Reporters fällt ihm schwer – er ist und bleibt ein polemischer Provokateur. Wir wissen auch: In der Debatte über Transgender-Fragen gibt es keine Gewinner. Es ist ein Schattenboxen unter der Gürtellinie, das emotional immer mehr aufgeladen wird, bis die Sicherungen durchbrennen, aber ohne messbaren Erkenntnisgewinn. So weit, so ernüchternd.
Die Macht der Medien
Interessanter ist, wie der öffentliche Diskurs über die Rezeption des Films geführt wird. Die Fronten scheinen klar: Der Film, produziert von der rechtskonservativen News-Seite «The Daily Wire», die auch die Podcasts von Ben Shapiro und Jordan Peterson vertreibt, wurde bereits Mitte 2022 veröffentlicht, fristete aber ein Schattendasein im Netz. Öffentliche Vorführungen wurden boykottiert, grosse Streaming-Anbieter mieden den Titel wie der Teufel das Weihwasser.
Der Film wurde in einschlägigen Kreisen diskutiert, aber nur hinter vorgehaltener Hand. Bis am 2.Juni 2023, als Elon Musk einen Link zum Film auf Twitter veröffentlichte, mit dem Kommentar: «Alle Eltern müssen das sehen.» Er setzte sich damit über die Richtlinien seiner eigenen Social-Media-Plattform hinweg, die den Film zensiert hatte. In der Folge ging die Dokumentation innert kürzester Zeit viral. Konservative Medien lobten sie als mutigen Akt der Zivilcourage, progressive Kommentatoren taten sie als transphobe Propaganda ab, die keine Beachtung verdient. Seither läuft die Empörungsmaschine heiss.
Dabei geht es um viel mehr: um die Deutungshoheit der Medien im Kulturkampf und damit um Macht. Matt Walsh lässt im Film immer wieder durchblicken, dass er den Wahrheitsbegriff verteidigt. Dieser Anspruch, auch wenn man ihn Walsh nicht immer abnimmt, ist natürlich legitim. Er ist der Antrieb hinter jeder journalistischen Arbeit. Umso befremdlicher ist es, wie stark Walsh damit aneckt.
«Ich bin ein Wolf»
Einer seiner Gesprächspartner im Film sagt: «Auf dem Wort ‹Wahrheit› herumzureiten wie du, ist herablassend und frech.» Er unterstreicht damit, dass auch ein vermeintlich neutraler Begriff ideologisch bis zur Unkenntlichkeit verdreht werden kann. Die «Wahrheit» im Singular wird nicht mehr akzeptiert. Es gibt nur noch subjektive Wahrheiten, die alle gleichermassen gültig sind.
Wenn ein junger Transgender-Mann Walsh gegenüber beteuert, er sei eigentlich ein Wolf, dann erwartet er, als solcher ernst genommen zu werden, auch wenn er kein Fell hat und nicht den Mond anheult. Diese Haltung ist nur eine zugespitzte Form des gegenwärtigen Zeitgeists, der uns vormachen will, dass alles relativ und unverbindlich ist. Wer hingegen Gewissheiten sucht, steht unter Generalverdacht, intolerant und reaktionär zu sein.
Es ist ein Echo aus einer totgeglaubten Ära. Die Poststrukturalisten stellten schon vor fünfzig Jahren die Methoden bereit, deren sich die progressiven Kreise heute bedienen. Foucault sah die Welt durch das Prisma von Institutionen und diskursiven Kategorien, deren Macht ultimativen Charakter hatte. Nicht die Realität bestimmte, wie man über sie sprach, sondern umgekehrt. Die Wahrheit konnte sich jeder vom Do-it-yourself-Regal holen.
Die Erklärungsnot nimmt zu
Das Thema Macht spielt auch in «What is a Woman?» eine zentrale Rolle. Zum einen stellt Walsh überrascht fest, dass die kleine Minderheit der Transgender einen überproportionalen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs und die politische Agenda ausübt. Im Einklang mit dieser scheinbar inversen Logik wird die kritische bis ablehnende Haltung der Mehrheit von der progressiven Elite wirksam unterdrückt.
Diese Feststellung ist eng verknüpft mit einer weiteren Beobachtung, die bei Walsh auch gleich als mögliche Erklärung herhalten muss: Die Mainstream-Medien sind voreingenommen und fördern aktiv eine LGBTQ-freundliche Agenda. Aber weshalb? Hier driftet Walshs Spurensuche in spekulative Verschwörungstheorien ab. Da er Vertreter und Nutzniesser eines alternativen Mediums ist, kann das auch nicht weiter überraschen. Trotzdem muss man sich fragen, wie lange es den traditionellen Medien noch gelingt, sich als Gatekeeper der öffentlichen Meinung aufzuspielen, wenn sie davor zurückschrecken, diese repräsentativ abzubilden.
Eines ist sicher: Der weitgehend unproduktive Kulturkampf der Gegenwart wird in der Bedeutungslosigkeit versanden wie jener der 1960er Jahre auch. Das passiert dann, wenn die konstante Beschallung der Öffentlichkeit mit Gender-Themen den Sättigungspunkt erreicht. «What is a Woman?» bringt uns zweifellos näher an diesen Punkt – wobei das Nachspiel eher zugunsten alternativer News-Kanäle wie «The Daily Wire» als der traditionellen Medien ausfallen wird. Deren Erklärungsnot nimmt zu, je mehr sie sich kontroversen Themen verschliessen.
Der Film «What is a Woman?» von Matt Walsh kann unter dem Link https://twitter.com/elonmusk/status/1664609193230204929?s=20 gestreamt werden.
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